logo

E-Mail an einen Skeptiker

Lieber Alexander,

Du nanntes neulich etwas keck einige meiner FARBFLÄCHEN (Ff) „10-Minuten-Arbeiten“, die man „eben mal so mit links“ machen könne. Ich habe darauf eher ausweichend und nur allgemein geantwortet, weil ich etwas perplex war, will das aber nun doch hier etwas ausführlicher nachholen. Exemplarisch möchte ich das anhand zweier Bilder erläutern.

„weiß-blau“ (100 x 100 cm)

Zu dieser Ff wurde ich angeregt von Gerhard Richters Kirchenfenster im Kölner Dom. Es enthält 11.263 Farbquadrate in 72 Farben, angeordnet nach dem Zufallsprinzip.

Mein Ziel konnte es nun nicht sein, Richters riesige, überdimensionale Farbkomposition in irgendeiner Form epigonenhaft nachahmen zu wollen oder es gar zu können. Ich stellte mir vielmehr die Aufgabe, eine quadratische Ff mit asymmetrischen Farbfeldern und Farbstreifen zu entwickeln. Und ich wollte auch, dass der vorgebene weiße Farbgrund der Maltafel (18 x 24 cm) weiße Farbfelder hinterlässt. Zuerst fertigte ich mit Bleistift und einigen Buntstiften eine grobe Skizze, um die Anzahl der Linien für die Farbstreifen zu bestimmen: insgesamt 46 Linien längs und quer.

Nach mehreren Versuchen mit verschiedensten Farben (Wasserfarben, Acryl, Öl) entschied ich mich für eine hochpigmentierte, dünnflüssige Acrylfarbe (Firma Royal Talens), die auch Airbrusher verwenden. Und zwar: Titanweiß, Oxidchwarz, Primärzyan, Ultramarin, Primärgelb, Naphthalrot dunkel, Primärmagenta.

Die Maltafel wurde fast senkrecht aufgestellt und fixiert, damit die Farben in dünnen Streifen nach unten fließen können. Die Farbaufträge mit Pipetten ergaben schließlich 55 Farbstreifen und zwischen ihnen 505 weiße Farbfelder, denn die Fließprozesse erbrachten natürlich eine andere als ursprünglich geplante Struktur laut Skizze.

Wichtig war mir bei der Planung auch, dass irgendwo im Bild deutlich ein „Bruch“ zu sehen ist, also eine Abweichung von einer gleichmäßigen Struktur, was dann aber quasi automatisch und scheinbar zufällig mittels der Farbströme geschah. Siehe als Ergebnis die beiden weißen Streifen oberhalb der Mitte und die Farbtupfer auf der rechten Seite.

Auf der kleinen Maltafel war die Farbwirkung schon recht gut erkennbar, doch die finale Ff ensteht ja erst mit der fotografischen Ablichtung und späteren Vergrößerung auf Fotopapier, Kaschierung auf Kunststoffplatten („Kapa“) oder Druck auf Aludibond (beidseitige Aluminum-Platte auf Kunststoffkern). Quadratische Formate lasse ich entweder in den Größen 70 x 70 cm oder 100 x 100 cm drucken.

Notizen, Skizzen und Malplatte werden dann vernichtet, weil, wie gesagt, das endgültige Bild eine Fotografie sein soll. Diese Vorgehensweise, für die man mich zum Teil stark kritisiert, wird auch vom Kunstfotografen Thomas Demand praktiziert, was ich erst später erfuhr. Er baut beispielsweise räumliche Modelle aus Papier und Pappe, fotografiert sie und vernichtet sie anschließend, und schließlich ist das Endprodukt dann „nur“ die Fotografie.

Auf Deine Anregung hin werde ich allerdings nun doch eine originale Vorlage als Exempel behalten. Und zwar für die zweite Farbfläche, an der ich Dir auch beispielhaft den Prozess der Entstehung erläutern möchte.

„blau-gelb IV“ (100 x 100 cm)

Auch diese Ff wurde angeregt von einer Arbeit Gerhard Richters, nämlich einem Rakel-Bild, das ich im Potsdamer Museum Barberini gesehen habe.

Bei dieser Art von Gemälden werden auf der Rakel oder direkt auf die Leinwand Farben aufgetragen. Mit der Rakel, einer Art Holz- oder Gummischaber, meist so breit wie die Leinwand, werden die Farben auf der Malfläche langsam von oben nach unten und von rechts nach links gezogen. Das wird so lange wiederholt, bis der Rakler mit dem Farbergebnis zufrieden ist. Die Farbkomposition scheint nach dem Zufallsprinzip entstanden zu sein, weil für den Maler nicht vorhersehbar ist, welche Farbspuren genau die Rakel hinterlässt. Entsprechend der verschiedenen Farben, der aufgetragenen Farbmenge und der Intensität des Drucks auf die Rakel, ist das Bild natürlich nicht nach dem Zufallsprinzip entstanden.

Ich erzähle das so ausführlich, weil ich in meinen eigenen Malarbeiten versuche, Zufälle möglichst auszuschließen. Das gehört zwar zu einem meiner Gestaltungsprinzipien, doch das gelingt selbstverständlich kaum, wenn ich mit mehreren Farben arbeite, die in Vorbereitung des Malprozesses sowohl willkürlich als auch unwillkürlich miteinander gemischt werden. Und trotzdem versuche ich, die Arbeitsabläufe möglichst selbst zu kontrollieren. Ein weiteres Arbeitsprinzip ist die Reduktion, vor allem in der Vereinfachung der Form und Reduzierung der Farbaufträge, obwohl das bei der Buntheit der beiden hier besprochenen Ff für den Betrachter nicht offensichtlich erscheint.

Im Museum stand ich lange vor dem Rakel-Bild (den Titel habe ich vergessen) und versuchte schon dort eine Reaktion auf Richters Gemälde zu finden hinsichtlich Form und Farbe für eine eventuelle Farbfläche. Ein Gemälde (oder seine Ablichtung im Großformat) zwingt den Betrachter, falls er es zulässt, zu verschiedenen Eindrücken und Wahrnehmungen, je nachdem, aus welcher Entfernung, aus welchem Blickwinkel und mit welchem Licht er auf das Werk schaut.

Apropos Licht fällt mir gerade ein: Der Begriff Fotografie gefällt mir sehr gut in seiner sinngemäßen Übersetzung und bezogen auf meine Arbeiten, nämlich aus altgr. φῶς phōs „Licht“, was soviel wie malen oder zeichnen mit Licht bedeutet.

Richters Werk jedenfalls wurde mir immer rätselhafter, je länger ich über diese riesige Farblandschaft „wanderte“, zweifelte sogar, eine adäquate gestalterische Antwort zu finden.

Nach Tagen machte ich mich dann aber doch an die Arbeit: Malplatte 18 x 24 cm; mittelflüssige „Acryl Studio“-Farben (Fa. boesner): Laubgrün, Kirschrot, Kadmiumgelb, Kobaltblau und Titanweiß; Richters Farberuptionen mit den unzähligen Zacken und Spitzen im Hinterkopf.

Zuerst habe ich die Farben direkt aus der Tube auf die Malplatte gedrückt, und zwar nebeneinander und in möglichst gleicher Menge (einem kleinen Zahnpastastrang ähnlich), in unterschiedlicher Reihenfolge, in ungleichen Abständen und in einer Reihe. Mit einem 4 cm breiten Schaumstoffröllchen wurden sie dann von oben nach unten gezogen, und zwar so behutsam, dass passende Farbmischungen, Schlieren und sog. Farbnasen entstehen konnten. Dieser Vorgang wurde mehrmals wiederholt, bis eine etwas größer als quadratisch bedeckte Fläche, gleich einem Farbenbasar, entstand (siehe unten). Das Pastöse, fast Reliefhafte, wird später aber nicht mehr zu sehen sein. Diese Vorlage gefiel mir eigentlich schon recht gut, doch ich experimentierte weiter mit zwei weiteren Malplatten und einer breiteren Rolle, die aber schließlich nicht die Ausdruckskraft des ersten Entwurfs erreichten. Siehe die aus diesen Entwürfen entstandenen Ff unter https://knigge-galerie.de/drei/ und dort die Bilder Nr. 20 „TÜRKIS-ROT“ und Nr. 21 „TÜRKIS-GELB“.

          Malplatte „blau-gelb IV“ (18 x 24 cm)

Die Komposition „blau-gelb IV“ war es also wirklich wert, abgelichtet und vergrößert zu werden.

Ich hoffe nun, lieber Alex, dass ich Dir auf meinem Gang durch die Genese der beiden Farbflächen meine Arbeitsweisen zeigen konnte, vor allem auch, welche Vorbereitungen investiert werden müssen, bis überhaupt die erste Farbe gesetzt werden kann. Und: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ (fälschlich Karl Valentin zugeschrieben).

Wenn Du möchtest, drucke ich Dir eines der beiden Bilder in Deiner gewünschten Größe auf edlem Canvas-Papier.

Herzlichen Gruß
Martin

 

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert